Agility - nicht nur für Border...
... auch wenn sich das auf Veranstaltungen nicht widerspiegelt.
Seit 2007 betreibe ich nunmehr und mittlerweile mit dem vierten Hund diesen wirklich wunderbaren Sport. Und ja, es ist Sport (!) und dies auch nicht nur für den Hund, und ja, für den wirklich ernsthaft im Agility geführten Hund, ist es sogar Leistungssport. Darüber muss Mensch sich grundsätzlich im Klaren sein, wenn er überlegt, mal ins Agilitytraining reinzuschnuppern! Und weil dies so ist, sollten Mensch, und noch viel mehr der dazugehörige Hund, egal ob Mischling oder Rassehund, gesund, körperlich geeignet und konditionell fit und eben "gut beieinander" sein. Und nein, deswegen muss Mensch nicht zwingend Turnierambitionen haben, richtig aufgebaut kann Agility auch einfach nur ein tolles Hobby sein. Wichtig aber ist der korrekte Aufbau, damit der Hund nicht unnötige körperliche und seelische Belastungen erfährt und einfach mit Spaß an die Sache rangeht. Weil, "Agility is fun", oder sollte es zumindest sein... Allerdings hat sich der Sport in den letzten Jahren massiv nach dem Motto "schneller, höher, weiter" verändert, was meiner Meinung nach durchaus dazu geführt hat, dass so mancher Hund bzw. das möglichst "gesunde" Führen des Hundes im Parcours teilweise "auf der Strecke" blieb oder auch bleiben musste. Nicht selten müss(t)en im Hobbysport die Hunde die fehlenden läuferischen Fähigkeiten und die unausgewogene Motorik ihrer Menschen ausgleichen und da nehme ich mich und meine Hunde nicht aus, wenngleich ich doch noch relativ fit bin. Umso wichtiger ist es daher, dass der Hund/das Mensch-und-Hund-Team so solide ausgebildet wird, dass der Hund nicht über Gebühr körperlich belastet wird. Leider sieht man immer wieder Hunde, die einfach nur schnell durch den Parcours hetzen, permanent nachfragen (müssen), wo es jetzt weiter geht, ungesunde Sprungtechniken haben, sich über dem Sprung verreißen oder nach dem Sprung Vollbremsungen einlegen. Schnell ist aber nicht gleich effizient!
Snoopy, Mischling, kam als "Problemhund" zu mir ins Training
(alle Fotos von Janine Flach - danke dafür!)
Dazu kommt der ehrgeizige Wunsch vieler Hundesportler, auch derer, die Agility nur als Hobby betreiben, möglichst früh den Hund auf Turnieren vorzustellen, dementsprechend früh wird damit begonnen, den Hund mit ganz gezielten Übungen auf seine Agilitykarriere vorzubereiten. Ich gebe zu, ich kenne einige Hundesportler, insbesondere in den Reihen deren, die das "professionell" machen (also auch Einnahmen aus dem Sport generieren), denen das auch mehr oder weniger gut gelingt. Diese Hunde haben aber häufig auch einen ganz anderen "Alltag" als jene, die beim "Hobbysportler" aufwachsen und leben. Mir persönlich ist es also viel wichtiger, dass mein (dein) junger Hund erstmal den normalen Wahnsinn (Alltag) als Hundesportplätze oder Agihallen von innen kennen lernt. Bei mir gilt tatsächlich "Alltag vor Sport" und hier wird auch kein expliziter Triebaufbau betrieben, sondern eher Frustrationstoleranz geübt. Meine Mädels jedenfalls sollen durchaus mehr als nur ein Hobby haben (damit sie auch im Alter oder bei plötzlicher Sportunfähigkeit noch etwas "arbeiten" können) und im Alltag soll der Hund auch einfach mal Hund sein dürfen. Und leider kenne ich tatsächlich Hunde, die hoch im Sport geführt werden, im normalen Alltag aber völlig überfordert sind. Da "funktioniert" zum Beispiel Ruhe halten nur in der Box, draußen wird jedem Bewegungsreiz nachgegangen, Leinenführigkeit ist ein Fremdwort und im Freilauf wird bestenfalls "nur" geballert. Da Sporthunde auch öfter im Sporthunderudel gehalten werden, sind Spannungen augrund der hohen Reiz- und Trieblage im Rudel häufig.
Leyla, klein, aber oho!
Das alles bedeuted allerdings nicht, dass meine jungen Hunde sich im süßen sportlichen Nichtstun rekeln. Den Agiplatz als solchen lernen meine Hunde sehr früh kennen (naja, müssen sie ja notgedrungen auch, wenn ich meinem Trainerjob nachgehen will), aber halt erstmal "aushaltend". An Hürde, Planke, Tunnel, also gezieltem Gerätetraining machen ich erstmal nix, aber, wir shapen viele Übungen zum Thema Körperbewusstsein und -koordination, und das sind Dinge, die kann Hund auch im Alltag gut gebrauchen. So lernen meine jungen Hunde früh, dass sie eine Hinterhand haben und auch, alle vier Pfoten gezielt einzusetzen (Targettraining). Sie lernen, sich auf Balancekissen, Baumstämmen, schmalen Mauern etc. auszubalancieren und haben auch noch Spaß dabei. Und, hat der Hund viele und abwechslungsreiche Übungen im Hinblick auf Körperbewusstsein und -koordination früh gelernt, kann man ihn im Alter mit selbigen geistig und körperlich durchaus fit halten ;). Übrigens, auch für "Späteinsteiger" ist es möglich und hilfreich, die eine oder andere Übung begleitend zum Agitraining ins Trainingsprogramm aufzunehmen.
Tja, und irgendwann geht es dann richtig los...
Sowohl Tattoo als auch Aivy haben ihre spezifische Ausbildung mit knapp sieben Monaten begonnen. Das ist aber auch schon so ziemlich alles, was ihre Ausbildungen gemeinsam hatten (abgesehen von einem einigermaßen soliden Grundgehorsam). Wie einleitend geschrieben, hat sich Agility in den letzten Jahren rasant weiterentwickelt, und was 2013 den damaligen Parcoursanforderungen genügte, wäre Stand heute (2021) völlig unzureichend, um einen "modernen" Parcours auch nur halbwegs "gesund" zu bewältigen. Ja, Agility ist Sport und wie in jedem anderen Sport auch, nicht in jederlei Hinsicht immer gesund. Aber Ziel eines guten Trainings sollte meines Erachtens mit höchster Priorität sein, dass Mensch seinem Hund eine gute Sprungtechnik vermittelt (immerhin ist die Hürde das mit Abstand häufigste Geräte im Parcours!) und der Hund sicher gut konditionierte Hilfen (körpersprachliche und gesprochene) annimmt, damit auch der läuferisch nicht ganz so fitte Mensch seinen Hund auf einer möglichst "gesunden" Linie führen kann.
Sammy, Mischling, zwar groß, aber vergleichsweise wendig!
Jetzt muss ich jetzt mal ein kleines bisschen ausholen...
Es gibt viele Hunde, die machen sich nicht "gaga" am Sprung. Kenzie zum Beispiel war im Parcours zwar "gaga", aber sie hätte sich niemals (!) "geschrottet". Kam sie mit Tempo (ist ja relativ, Kenzie ist ja jetzt nicht sooooo schnell gewesen) an eine Hürde, nach der es im 180°-Winkel zurück ging, hätte sie nie, never, auf keinen Fall eine Vollbremsung eingelegt (und ein Kurzspringkommando gab es da noch nicht). Kenzie ist geradeaus gesprungen, hat noch einen Galoppsprung geradeaus gemacht und bei diesem den Richtungswechsel eingeleitet. Kurzum, Kenzie lief große Bögen und musste nie "in die Eisen" gehen... hat sie, im Nachhinein betrachtet, voll gut gemacht und reichte auch in der Königsklasse (A3) für die eine oder andere Platzierung. Das war so 2012 plus/minus. Damals waren die Parcours sehr technisch...
Tattoo wurde dann also für die eher technischen Parcours ausgebildet (viel Skill, wenig Speed). Da war sie dann auch 2014/2015 gut für die damaligen Parcoursanforderungen aufgestellt und stiegt innerhalb von nur zehn Turnierstarts in die Königsklasse auf... und dann wurden sukzessive die Parcours schneller, Speed vor Skill, und Tattoo, durch und durch Border Collie mit viel "will to please" hat's Rennen (quasi nachträglich) gelernt, nicht aber das Versammeln am Sprung. Anders als Kenzie ist sie auch - so wie ganz viele andere hochgradig triebige Hunde (!) - schon mal in den Ausleger gesprungen, wenn ich es fälschlicherweise so angezeigt habe! Tattoo kann ich also gut vorschicken, wenn ich aber nicht da bin, wo sie meine Hilfe braucht, springt sie quasi "ins Leere", um dann, vollausgebremst, neu anzusetzen! Das ist mit Sicherheit nicht gesund und so habe ich entschieden, Tattoo, noch nicht ganz achtjährig, in die Leistungsklasse "2" zurückstufen zu lassen.
Aivy wuchs dann in die "Speed-Generation" rein. Da lernen die Hunde rennen, rennen, rennen und leider kaum noch "Versammlung", dafür wieder etwas größere Bögen, die dann aber maximal schnell. Profis mögen dies in der Ausbildung gut hinbekommen, wir, die Hobbysportler wahrscheinlich eher nicht, wenn wir dies nicht reflektieren... daher lege ich persönlich in der Ausbildung sehr (!) viel Wert auf gezieltes Sprungtraining, sauberes Abarbeiten von Sprungkommandos und Versammlung am Sprung. Voraussetzung für ein erfolgreiches Sprungtraining und flüssiges Arbeiten im Parcours ist darüberhinaus ein guter Fokus des Hundes auf das Gerät/die Geräte, übrigens auch etwas, was Mensch abseits vom Hundeplatz mit Hilfe eines Triebmittels (Futter, Spielzeug) gut üben kann. Ein Hund, der permanent nur nach seinem Handler glotzt, kann sich weder am Hinderniss lösen, noch dieses sicher selbstständg abarbeiten. Zusätzlich wird er vermutlich an der Hürde keinen gesunden Sprungstil entwickelt, weil durch das Springen mit hohem Kopf, kann der Hund den Rücken nicht aufwölben und somit keine schöne Fluglinie (inkl. "weicher" Landung) entfalten. Das heißt jetzt aber nicht, dass der Hund seinen Menschen gar nicht mehr "gucken" soll, im Gegenteil, im Training muss gezielt an "Gerätefokus versus Handlerfokus" gearbeitet werden, damit der Hund im Parcours da, wo die Situationen eindeutig sind, flüssig und selbstständig arbeiten kann und an den weniger eindeutigen Stellen (Wendungen, Verleitungen), die Hilfen seines Handlers wahr- und auch annimmt. Das alles ist Basis- und darüberhinaus viel Fleißarbeit, darüber sollte sich jeder Agilitystarter auch bewusst sein. Mit einmal in der Woche auf dem Hundeplatz stehen, ist es nicht getan, aber aus Erfahrung kann ich sagen, ja, die Mühe lohnt sich!
Nera, Seniorin, mit Spaß dabei!
Tja, und dann haben wir nun also viel Wert auf eine gute Basisarbeit des Hundes gelegt und dann will es beim Laufen doch nicht so recht klappen... wir haben viele Hörzeichen trainiert, dem Hund am Einzelsprung und in der Sprungreihe ordentliches Springen beigebracht, das Abarbeiten der Zonen kleinschrittig aufgebaut und in der Sequenz oder dem Parcours funktioniert nichts mehr so, wie wir eigentlich erwartet hätten. Nun erlebe ich hier leider immer wieder Hundeführer, die die alleinige Schuld beim Hund suchen und es diesem mehr oder minder deutlich zu verstehen geben. Das ist nicht fair, den Agility ist Teamsport, beim dem keiner ohne seinen Partner erfolgreich ins Ziel kommen kann! Nicht nur der Hund muss lernen, sondern auch sein Mensch, insbesondere im Hinblick auf seine meist unbedacht eingesetzte Körpersprache. Körpersprache (Haltung und Stellung des Oberkörpers/der Schultern, Blickrichtung, Ausrichtung der Füße, Bewegungsrichtung etc.) müssen Hunde in der Regel nicht explizit lernen, die verstehen sie meist per se, während Hörzeichen lernen beim Hund vergleichbar mit Vokabeln lernen bei uns ist. Wir Hobbyhundemenschen verstehen aber häufig erst gar nicht, was wir mit unserer Körpersprache dem Hund eigentlich mitteilen. In einer guten Ausbildung sollte also der Mensch lernen, seine Körpersprache nicht nur zu verstehen, sondern auch richtig einzusetzen. Und wenn das nicht schon genug wäre, der Einsatz der Körpersprache muss halt auch noch" auf den Punkt" kommen oder, mit den Worten von Martin Rütter gesagt, "Timing ist keine Stadt in China" (gilt grundsätzlich in der Ausbildung von Hunden). Wichtig ist halt, dass die im Parcours gegebenen Kommandos stimmig sind, das also Körpersprache das Gleiche sagt, wie das gesprochene Wort, wobei aus Sicht des Hundes, die Körpersprache halt meistens "siegt". Allerdings sind gut ausgebildete und erfahrene Hunde in der Regel etwas fehlertoleranter...
Kleine Anekdote: ich gehöre (leider oder GsD) zu den Trainern, denen widersprüchliche Kommandos sofort auffallen ("guck mal, wie du stehst!), bin aber selber auch nicht vor Fehlern gefeit... Turnier im Spätsommer 2020, gerne hätte ich mit Aivy eine Aufstiegsquali für die nächste Leistungsklasse erlaufen. Der Parcours war anspruchsvoll, aber gut lösbar, Aivy "kann das". Kurz vor dem Ziel, Stegabgang, geradeaus vorwärts, Wendung... im Training predige ich "haltet körpersprachlich das Vorwärts, bis der Hund es annimmt", im Turnier "vergesse" ich meine eigenen Trainingsansätze aber dann auch schon mal, Körper zu früh eingedreht, Shit happens, Quali vertan! Aber der Hund war geil!
Last, but not least, Agility ist Sport und ich finde auch eine gute Vor- und Nachsorge wichtig. Dazu gehören regelmäßiges Körperkoordinationstraining (Targetarbeit, Balanceübungen etc.), ausreichend Konditionstraining (durchaus einfach nur durch Feld, Wiese und Wald) und das regelmäßige Vorstellen der Sporthunde beim Physiotherapeuten. Das Risiko ernsthafter Verletzungen im Falle eines Falles geht zwar nicht gegen "Null", aber ich möchte das maximal Mögliche dafür tun, um das Risiko zumindest zu reduzieren.
Und sollte sich jemand wundern, warum ich in diesem Artikel nicht "2 on/2 off" versus Runnings" thematisiert habe, dann liegt es daran, dass beide Methoden ihre Daseinsberechtigung und Vor-und Nachteile haben. Sehr sorgfälltig aufgebaut werden müssen beide und da zumindest ich keine Weltmeisterambitionen habe und auch keine dreißig mehr bin, bleiben es bei mir die gestandenen Zonen und ich maße mir auch nicht an, Runnings auszubilden.
In diesem Sinne, viel Spaß beim Training, wir sehen uns dann an der nächsten Zone!
Das Fliewatüüt, ihres Zeichens Border Collie, war bei der Veranstaltung, an der 2018 die Fotos entstanden sind, nur Zaungast ;)