1. Brief an Kenzie vom 21.11.2009

Kenzkind, Superquirlie und Brummkreisel

Vor nunmehr genau einem Jahr, am 21.11.2008, bist Du in mein Leben gehüpft, und zwar im wahrsten Sinne des Wortes! Du hüpftest an mir hoch bis an meine Nasenspitze, stets nach dem Motto „huhu, hier bin ich! Nimm mich!“ Das tat ich auch, und seit dem tobst Du durch mein Leben. Dieses hast Du nämlich erst einmal gründlich durcheinander gebracht…

In einem Forum wurde mal die Frage nach dem „Klick“ – Welpen gestellt, Du siehst einen Welpen, es mach klick in Deinem Kopf und Bauch und Du weißt genau, das ist mein Hund! Ich bin viele Kilometer– am Tag des ersten Wintereinbruchs letzten Jahres - gefahren, um Dich, Kenzie, anzugucken. Ich wollte einem Nothund wie Dir ein neues Zuhause geben und so habe ich Dich mitgenommen. Aber es war keine Liebe auf den ersten Blick, auch keine auf den zweiten. Dieser „Klick“ kam erst viele Monate später, nach vielen Tiefen und kaum Höhen. Aber der Reihe nach…

Du warst sehr, sehr unsicher, ständig nervös, unruhig und hyperaktiv. Du hattest in den wenigen Monaten Deines bisherigen Lebens offensichtlich nicht allzu viel kennengelernt, und Deine Überlebensstrategie war ganz offensichtlich „Angriff ist die beste Verteidigung“. Du warst ständig in Lauerstellung, hattest den Rücken stets leicht aufgekrümmt, und das hat Dich noch ein Stück weit verletzlicher gegenüber insbesondere anderen Hunden gemacht. Du hast mir nicht vertraut, Sheela nicht und überhaupt niemandem, und binden wolltest Du Dich schon mal gar nicht. Du bist auf wirklich alles, was Du nicht kanntest – und das war verdammt viel – laut kläffend vor gegangen. Große Hunde, kleine Hunde, Jogger, Skater, Radfahrer, Roller fahrende Kinder, gestandene Männer mit kleinen Kindern auf der Schulter, gebückte Personen, die sich nur mal den Schnürsenkel zubinden wollten, fahrende Autos (!), es war ganz furchtbar. Dies hat sich auch auf Deine Verdauung übertragen, Dein Darm kam nie zu Ruhe, Du hattest ständig Bauchweh und Durchfall, Deine Augen waren häufig entzündet. 

Ich gebe es zu, ich war oft sehr verzweifelt, nicht nur, weil mich Dein Verhalten überfordert hat (welches ich auch lange nicht richtig verstanden habe und einordnen konnte) oder weil wir Stammkunden beim Tierarzt waren, sondern auch, weil Sheela als, wie ich hoffte, souveräner Ersthund ausgefallen ist. Sheela war (und ist immer noch mal wieder) gehandicapt, musste permanent geschont werden, während ich mit Dir so viele Sachen hätte machen müssen, Dir die Welt da draußen und die in Läden oder Restaurants von innen hätte zeigen müssen. Sheela wiederum kam mit der Situation auch nicht mehr zurecht, merkte sie doch sehr deutlich, dass ich viel Zeit für Dich benötigte, während sie ständig langsam (bis hin zu gar nichts!) machen musste. Ich wusste zeitweise überhaupt nicht, wie ich das Alles in den Griff und unter einen Hut bringen sollte, schließlich muss ich ja auch noch ein bisschen arbeiten, nicht nur, um die horrenden Tierarztrechnungen bezahlen zu können. An dem Tag, an dem Sheela anfing in die Wohnung zu pinkeln, an dem Tag war ich kurz davor, aufzugeben…

Angestoßen durch ein intensives Gespräch mit einer sehr erfahrenen Hundetrainerin, habe ich dann begriffen, dass ich mittlerweile Teil des Problems geworden bin. Ich war mittlerweile selbst so verunsichert, dass ich meine Unsicherheit auf Dich übertragen habe. Ich wusste plötzlich ganz genau, dass ich und wie ich diesen Teufelskreis durchbrechen muss und im Nachhinein war es eigentlich ganz logisch und einfach. Ich habe Dich sechs Wochen lang an die Leine genommen, im Dorf oder in der Stadt an eine normale Führleine, im Feld oder Park an die Schleppleine. Ich wusste, dass Du somit gesichert bist und war schlagartig selbst ganz ruhig. Es konnte ja nix mehr passieren, außer dass Du mal in der Leine hängst. Frei spielen durftest Du nur noch an absolut ungefährlichen und frei einsehbaren Stellen oder auf dem Hundeplatz. Und siehe da, auf einmal konntest Du in Ruhe alle die, Dir Angst einflößenden Sachen, begucken. Ich habe die Leute, die Dir Angst einjagten (weil sie Kinder, Kisten, Säcke trugen, auf Mauer liegend ein Nickerchen machten, im Garten gebückt Unkraut pflückten, mit ferngesteuerten Spielzeugautos die Straße unsicher machten usw.) gefragt, ob wir mal näher kommen dürften, habe ihnen erklärt, dass Du eigentlich Angst hast und deswegen so bellst, und so konntest Du lernen, dass von ihnen in der Regel gar keine Gefahr ausgeht. Inzwischen darfst Du an vielen Stellen frei laufen, die meisten Situationen kannst Du mittlerweile gut abschätzen, wenn Du doch noch mal vorgehst, bist Du ganz gut abrufbar und ganz ehrlich, die bekloppten Radfahrer, die von hinten im Affenzahn angeschossen kommen, die machen mir auch Angst, da erschrecke ich auch, da kann ich gut verstehen, dass Du noch mal ganz entsetzt aufbellst. Wir sind an dieser Stelle mit Sicherheit noch nicht rund, haben noch die eine oder andere Baustelle, aber ich glaube, das schaffen wir und ich hoffe inständig, dass ich nicht doch einmal eine Situation völlig falsch einschätze.

Mittels Homöopathie, Osteopathie und Karottenpellets haben wir auch Dein Bauchweh in den Griff bekommen. Du freust Dich mittlerweile wie Bolle, dass auch Du mal ein Stück Käse oder Geflügelfleischwurst essen kannst, ohne gleich Dünnpfiff zu kriegen. Und ich mich, weil ich mit Dir verreisen kann, ohne unterwegs zu überlegen, wie komme ich an gekochtes Hühnchen und Reis. Tja, verreisen und in Hotels übernachten klappt nämlich inzwischen auch…

Ansonsten kann ich Dich mittlerweile überall hin mitnehmen, Du schaffst es, auch in fremder Umgebung relativ gut „runterzufahren“, im Büro bist Du Hannes Liebling und kletterst liebend gerne auf seinen Schoß, um Dich kraulen zu lassen, Du liebst (die Anfänge von) Agility, Bällchen apportieren und Clickern, schwimmen, Mäuschen suchen und so vieles mehr. Nur das Wort „langsam“ kennst Du immer noch nicht, alles, was Du machst, machst Du schnell und beim Agi auch nach Deinen Vorstellungen (der Länge nach über den Tunnel laufen!). Du bist immer noch ein bisschen hektisch und übereifrig, obwohl Du doch (hoffentlich!) noch ganz viel Zeit für all die tollen Sachen im Leben hast. Und an Menschen hoch hüpfen, dass kannst Du Dir nach wie vor nicht immer so ganz verkneifen J

Ich habe lange nachgedacht, ob dass der weiter vorne beschriebene „Klick“ ist, und nein, dieser Klick war anders, speziell, und mit viel Arbeit verbunden … aber mittlerweile (und das war nicht immer so!!!) liebe ich Dich und freue mich auf jeden Tag, jeden Nasenstüber, jedes „ich warte auf Dich“…

Bea